Was können Musik und Kunst in den letzten Lebenstagen dazu beitragen, Lebensqualität und Sinn erleben zu können, bis zum Schluss? Getreu dem Motto der Gründerin der modernen Hospizbewegung, Cicely Saunders „Nicht dem Leben mehr Tage verleihen, sondern den Tagen mehr Leben“ das noch verbleibende Leben sinnvoll gestalten, bis zuletzt. Schon die Bibel schreibt im ersten Buch Samuel von David, wie er mit dem Spiel seiner Harfe Saul erquickte und besänftigte, so dass der böse Geist von ihm wich.
Mit meiner Harfe begleite ich Menschen in Hospiz und auf Palliativstation Menschen in ihren letzten Lebenstagen sowie deren An- und Zugehörigen. Immer wieder erlebe ich, wie Menschen beim Spiel der Harfe aus ihrer Starre herausfinden und in Berührung mit sich und ihren Gefühlen gelangen, Gefühle ins Fließen kommen und Aufatmen möglich wird. Entspannung, Trost und Gelöstheit empfunden werden, auch in der Trauer.
Manchmal jedoch gelingt in der musikalischen Begleitung am Kranken- und Sterbebett ein ganz besonderer Dialog: Zur Zeit begleite ich eine hochbetagte Dame, die durch das Harfenspiel ihre künstlerischen Ressourcen aufleben lässt. Im gemeinsamen musikalischen Dialog ergeben sich fortlaufend musikalische Lesungen mit ihrer umfangreichen Lyrik, begleitet von spontanen Improvisationen auf Harfe, die wir als Audio aufnehmen und ich als Videos gestalte:
Am
15.2.2019 war ich wieder auf KLANGVISITE im Hospiz ADVENA, diesmal
begleitet von Anja Baumgart-Pietsch, die einen Bericht über meine
Klangvisiten am Sterbebett für das Seniorenmagazin Consens schreibt
und auch die Bilder machte. Mein Valentinsgeschenk kam gestern vom
Zahnarzt: Penicillin, hochdosiertes Ibuprofen und ein Ticket für
eine Wurzelkanalbehandlung. Dienstag gehts los… Vollgedopt mit
Penicillin und Ibu fuhr ich heute also auf die pressebegleitete
Klangvisite ins Hospiz in Erbenheim.
Im ersten Bild spiele ich auf dem Flur für die Bewohner im Erdgeschoss, um mit den Harfenklängen sanft Kontakt zu den Bewohnern und Angehörigen aufzunehmen. Im zweiten Bild spiele ich bereits Harfe am Krankenbett im Zimmer einer Dame, die vor zwei Tagen ins Hospiz kam. Sie und ihr Sohn hatten mich auf dem Flur spielen hören und in einer Spielpause geklatscht. Daraufhin bin ich ins Zimmer und habe angeboten, auch auf ihrem Zimmer für sie zu spielen. Sie hat sich super gefreut und sich zur beruhigenden Harfenmusik sichtlich entspannt. Ich bot ihr eine Klangmassage an der Harfe an (drittes Bild), bei der sie Hand und Arm auf den Resonanzraum der Harfe legt und die vibroakustischen Klänge auf ihren Körper wirken ließ, was ihr sehr wohl tat. Sie ist ein sehr aufgeweckter und selbst jetzt noch Lebenslust aus den Augen versprühender Typ, und wurde neugierig, die Harfe selbst einmal ausprobieren. So habe ich ihr die Harfe überlassen und sie hat spielerisch die Saiten gezupft. Beim Herausgehen kam mir ihr Sohn hinterher und hat sich bei mir von Herzen überschwänglich mit den Worten bedankt: Da haben Sie heute eine große Freude gemacht. Er war selbst zu Tränen gerührt… Immer wieder geht es bei meinem Klangvisiten auch darum, die Angehörigen in ihrer Situation zu begleiten, für sie in der oft überfordernden Situation am Sterbebett mit dazusein und Trost und Halt zu geben. Denn: Den eigenen Tod den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andern muss man leben…
Mein
zweiter Besuch führt mich zu einem Bewohner, den ich seit Oktober
immer wieder begleite und über den ich bereits in meinem Blogeintrag
„Wir Komplizen“ geschrieben habe. Seit ich ihn das letzte
Mal nach der Gedenkfeier des Hauses im Januar besucht hatte, hat er
sich sichtlich verändert und sein Zustand sich stark und plötzlich
verschlechtert. Im November waren wir noch zusammen feiern, als er
mich als Überraschungs-Klangvisite auf die Goldene Hochzeit einer
Freundin buchte, um ihr einen Dank zu überbringen. So vom
Krankenbett weg. Und nach der Feier hatten ihn Freunde wieder ins
Hospiz gefahren. Schön, dem Tod nochmal einen Haken geschlagen zu
haben. Bei meiner letzten Klangvisite habe ich ihm mal eine Stunde
das melodiöse, zu Herzen gehende Gayatri-Mantra gesungen, von Harfe
begleitet, und er war dazu total gechillt in einen entspannten Schlaf
weggedöst. So auch heute wieder: Er hatte Besuch auf seinem Zimmer,
ich spielte und sang ihm das Gayatri-Mantra, und nach ein paar Runden
des Mantras war er bereits in einen entspannten Schlaf weggesunken.
Die tiefe Entspannung sah man ihm sichtlich an. Es ist schön zu
sehen wie tiefenentspannt er auf die Harfenklänge und das Mantra
reagiert. Ich weiß nicht ob ich ihn noch einmal wiedersehe. Und
auch, wenn wir uns nicht in Worten verabschiedet hatten, kann dies
heute mein Abschiedsbesuch gewesen sein, und es ist gut, noch einmal
dagewesen zu sein.
Mein
dritter Besuch führt mich nach oben zu einer Dame, der ich meinen
Besuch bereits angekündigen habe lassen. Bei meiner letzten
Klangvisite war sie recht neu im Hospiz, und auch heute erlebe ich
sie wieder als eine aufgeweckte und neugierige Frau, neugierig aufs
Leben und angetan von der Harfenmusik, zu der sie träumend und
entspannt die Augen schließt und chillt. Als ich ihr ein englisches
Stück vorsinge, meint sie anschließend, einen deutschen Text
verstanden zu haben, dessen Worte sie mir wiedergibt. Ich staune…
Es ist interessant, wie sehr sie die Energie des Stücks, ohne die
Sprache verstanden zu haben, aufnimmt und in den Worten wiedergibt,
die sehr nah am Liedtext sind…
Am frühen Abend, der so mild und sanft in der Luft liegt, packe ich meine Harfe und fahre mit dem Bus zurück nach Wiesbaden.
Dies war meine 20. Klangvisite der 25 crowdfundingfinanzierten Klangvisiten aus meinem Projekt.
Letzte Worte können so wichtig sein, um leicht aus der Welt gehen zu können. Gerade bei Sterbenden mit verminderter Hörfähigkeit ist der Einsatz von Hörgeräten auch in den letzten Wochen oder Tagen so wichtig, um mit ihren Angehörigen die letzten Worte austauschen zu können. Um, bevor die Seele auf Reisen geht, das zu sagen, was einem auf dem Herzen liegt, was man sich sonst nicht getraut hat zu sagen, von Arschloch bis Ich-liebe-dich. Denn, wenn ich eine schwere Last mit mir trage, kann ich nur schwer gehen. Hörgeräte bieten eine einfache Möglichkeit, dass Sterbende die letzten Worte sprechen und auch hören können und so mit der Welt und ihren Angehörigen bis zuletzt verbunden zu bleiben. Schwerhörigkeit hingegen zwingt Gesprächspartner dazu, sehr laut zu sprechen, um verstanden zu werden. Und wer laut spricht, kann keine Emotion durch seine Stimme ausdrücken. Die Emotion ist aber gerade bei den letzten Worten und für die Angehörigen sehr bedeutsam. Nur leise Stimmen können sich gefühlvoll ausdrücken und Gefühltes vermitteln.
Das Team von „Schöner Hören“ des Hörgeräte-Akustikers Dieter Arntz von HörNatur in Wiesbaden berät und betreut Menschen auch zu Hause und im Krankenhaus. Denn: Wer nicht mehr hören kann, fühlt sich von der Welt isoliert… Der Hörsinn verbindet uns über den Klang mit den Menschen und der Welt. Er ist der erste Sinn, der in der Embryonalentwicklung im Mutterleib ausgebildet wird und der letzte Sinn, der uns im Sterben verlässt… Da der Hörsinn im Vergleich zum Sehen ein bedeutend umfangreicheres Frequenzspektrum wahrzunehmen fähig ist als der vergleichsweise oberflächliche Sehsinn, hat er eine wesentlich tiefere und elementare Wahrnehmungsfähigkeit.
Klang ist Hinlauschen, Hinspüren, Wahrnehmen, fühlendes Lauschen und Berührung… Nada Brahma, Die Welt ist Klang…